Was ist Theaterpädagogik?

Theaterpädagogik als Methode

„Theater hat nichts zu tun mit Gebäuden oder anderen physikalischen Konstruktionen. Theater – oder Theatralik – ist die menschliche Fähigkeit, sich selbst im Handeln zu betrachten. Die Selbsterkenntnis, die der Mensch auf diesem Weg erwirbt, erlaubt ihm, beobachtendes Subjekt eines anderen handelndes Subjekts zu sein. Sie erlaubt ihm, sich Variationen seines Handelns vorzustellen und Alternativen zu erproben. Der Mensch ist also in der Lage, sich im Akt des Sehens, Fühlens, Denkens und Handelns zu beobachten. Er kann sich selbst fühlend spüren und sein eigenes Denken wiederum reflektieren.“

(Augusto Boal)

Theaterpädagogik, wie ich sie verstehe und praktiziere, ist eine Methode, mittels theatraler Techniken und „Werkzeuge“ zu Erkenntnissen zu kommen, die verändernden und transformierenden Charakter haben. Sie ermöglicht Lernerfahrungen im ganzheitlichen Sinne und ist somit pädagogisch wirksam.

Ich beziehe mich in meiner Arbeit vor allem auf die theoretischen und praktischen Grundlagen der theaterpädagogischen Arbeit des Brasilianers Augusto Boal. Er hat in den 1970er-Jahren Theaterformen geschaffen, die das Verhältnis Bühne – Zuschauerraum bzw. SchauspielerInnen – Publikum radikal verändert haben.

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Boals Intention war, die Kluft zwischen den SchauspielerInnen und dem Publikum aufzuheben und dem Publikum die Möglichkeit zu geben, sich aktiv in das Bühnengeschehen einzubringen. Auf diese Weise kann es mitreden, mitspielen und wird von Zu-Schauern und Zu-Schauerinnen zu Zu-Schau-Spielern oder Zu-Schau-Spielerinnen. Aus diesem Geist heraus entwickelte sich das Forumtheater, die bekannteste Methode Boals. Das Theater wurde somit zu einem Mittel der Partizipation, der Mitgestaltung.

Das Forumtheater findet vor allem in der Bearbeitung von individuellen und gesellschaftlichen Problem- und Konfliktsituationen seine Anwendung.

Was ist Forumtheater?

Forumtheater ist eine interaktive Theaterform, die es den ZuseherInnen ermöglicht, sich aktiv in das Bühnengeschehen einzumischen und Veränderungsmöglichkeiten vor zu zeigen.

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Auf der Bühne wird eine Konfliktsituation dargestellt. In der Regel ist das eine Szene, die vermutlich viele aus ihrem Alltag kennen. Es gibt in der dargestellten Situation eine Person, die deutlich schlechter aussteigt als die anderen. In dieser speziellen Situation erlebt sich der- oder diejenige als unterdrückt, benachteiligt und machtlos. Die Szene steuert auf eine Konflikteskalation zu. An dieser Stelle endet die Szene.

Das Publikum ist nun aufgerufen, während eines zweiten Durchlaufs einzusteigen und die Szene zu einem Ende zu führen, das für die machtlose Person befriedigender ist als die Modellszene. Dabei geht es nicht darum, verbale Lösungsvorschläge zu äußern, sondern direkt in die Rolle der benachteiligten Person oder die eines potenziellen Helfers oder einer potenziellen Helferin einzusteigen und aus der Rolle heraus die Situation zu verändern. Hierbei ist alles, mit Ausnahme von körperlicher Gewalt, erlaubt.

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Es kann ausprobiert und experimentiert werden. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Die Intervention sollte allerdings die grundlegende Konfliktsituation und die Personen, die darin vorkommen, berücksichtigen – und sich auf diese beziehen. Sie kann somit als „Probe für die Wirklichkeit“ gesehen werden und transformierende Wirkung für die Personen haben, die Lösungsmöglichkeiten ausprobieren.

Die Methoden Boals wurden unter dem Begriff „Theater der Unterdrückten“ in der ganzen Welt bekannt und verbreitet. Sie stellen für mich – in ihrer partizipativen, dialogischen und demokratischen Haltung – die grundlegende Basis für meine theaterpädagogische Arbeit dar.

Durch das Kennenlernen der Arbeit des kanadischen Theatermachers David Diamond, der Boals Methoden mit Erkenntnissen aus der Systemtheorie ergänzte und erweiterte, lernte ich zusätzliche Aspekte und Zugänge eines interaktiven und gemeinwesenbasierten Theaters kennen, das auch meine Arbeit als Mediatorin mit wertvollen Impulsen bereichert.

Ergänzend dazu fußt meine Arbeit auf

  • den Grundlagen von Körpertheater, nonverbalem Theater (Lecoq, Mime …)
  • Einflüssen aus der Spielpädagogik und der soziokulturellen Animation
  • gruppenpädagogischen Erkenntnissen und Grundlagen
  • meiner langjährigen Erfahrung als Sozialarbeiterin mit verschiedensten Gruppen und in den Bereichen Beratung/Training bzw. Prävention
  • meinen vielfältigen Erfahrungen aus Improvisation, Tanz, Körper- und Energiearbeit, Focusing nach Eugene T. Gendlin, Kreativem Schreiben …

Theaterpädagogische Arbeit ist in den unterschiedlichsten Bereichen anwendbar, wie zum Beispiel in Kunst, Pädagogik, Erwachsenenbildung, Sozialarbeit, Gemeinwesenarbeit, im soziokulturellen Bereich, im Rahmen von zivilgesellschaftlichem Engagement und von Organisationsentwicklungsprozessen u.v.m..